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Kirche

 
Von Sabine Ortmann, Thüringer Landesamt für Denkmalpflege
 
Das Bild der Thüringischen Kulturlandschaft prägen in hohem Maße die zahlreichen Dorfkirchen, deren Türme mit ihren spitzen Helmen und geschweiften Hauben weit ins Land hineinschauen und die Silhouetten der Dörfer bestimmen. Allein der Landkreis Gotha verfügt über die stattliche Anzahl von 80 Kirchgebäuden mit einer Fülle von kostbaren Ausstattungsstücken. Eines dieser Kleinodien stellt die barocke Kirche zu Gräfenhain dar, deren fach- und sachkundige Restaurierung 1991 nach fünfjähriger Arbeit ihren feierlichen Abschluss fand.
 
 
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges entfaltete sich ein großer Baueifer an den aus den Landesteilungen hervorgegangenen Fürstenhöfen. Herzog Ernst der Fromme (1600-1675) erhielt 1640 das neu gebildete Herzogtum Sachsen-Gotha. Als einer der aufgeklärtesten Fürsten seiner Zeit in Thüringen war Ernst der Fromme nach den Wirren des Krieges sehr um den materiellen und moralischen Aufbau in seinem Fürstentum bemüht.
 
Er führte die Schulpflicht ein, ließ Schulen in den Dörfern errichten sowie Religions- und Lehrbücher drucken. Unter seiner Herrschaft und in seiner Nachfolgezeit erlebte neben der Schlossbaukunst vor allem auch der Kirchenbau in Stadt und Land enormen Aufschwung; seinem Engagement sind umfassende Instandsetzungsmaßnahmen an zahlreichen Kirchgebäuden zu verdanken. Wenngleich die Söhne und Enkel Ernst des Frommen nicht seine Popularität und Größe erlangten, erwarb sich sein Enkel Friedrich II. (1691-1732) vor allem Verdienste in der Förderung des Schul- und Kirchenwesens. Er veranlasste in der Residenzhauptstadt Gotha den Neubau des Waisenhauses, der Siechhofskirche, des Hospitals Maria Magdalena und des Schlosses Friedrichsthal. Aber auch wichtige ländliche Kirchenneubauten und Kirchenumbauten entstanden während seiner Regierungszeit, so in Finsterbergen, Mechterstädt, Altenbergen, Laucha, Metebach, Schwabhausen und Schönau v. d. Walde, um nur die wichtigsten hervorzuheben. 
 
So nimmt es nicht Wunder, daß Friedrich II am 4. Juni 1728 nach nur einjähriger Bauzeit - die Grundsteinlegung erfolgte am 25. April 1727 - an der Weihe des Gräfenhainer Gotteshauses teilnahm. Aus diesem Anlass ließ er eine Medaille prägen, die sich heute im Münzkabinett des Schlosses Friedenstein in Gotha befindet und folgenden Wortlaut trägt:
 
INAVGVRATIO TEMPLI GRAVENHAYNENSIS A.MDCCXXVI1I. D.IV.IVNII QVAM AMABILIA HABITACVLA TVAIEHOVAH ZEBAOTH DESIDERAVIT ANIMA MEA ERGA ATRIAIEHOVA.
 
Die ländliche Baukunst empfing zu allen Zeiten wesentliche Impulse von der Hochkunst, deren stilgeschichtliche Entwicklung sie oft mit zeitlicher Verspätung folgte. Keineswegs wurden alle Dorfkirchen von bäuerlichen Baumeistern errichtet. In Gräfenhain wurde für den Neubau der Kirche Johann Erhard Straßburger (1675-1754) beauftragt, der seit 1701 in herzoglichen Diensten stand und 1731 zum herzoglichen Oberlandesbaumeister ernannt wurde. Von den unter Straßburgers Leitung entstandenen Kirchen auf dem Lande haben sich vor allem die Bauten in Mechterstädt, Frankenhain, Neuroda, Sundhausen, Gräfenroda und Wölfis erhalten. Diese Bauten folgten einem im Prinzip einheitlichen und klaren Schema, das die Gräfenhainer Kirche sehr gelungen verkörpert. Das Kirchenschiff ist ein stattlicher, breitgelagerter, verputzter Saalbau mit Eckquaderung und regelmäßiger Fenster- und Portalanordnung. Der quadratische Westturm mit seiner geschweiften Schieferhaube, seitlich von Treppenhausbauten flankiert, wurde unter Verwendung der unteren Geschosse eines Vorgängerbaus von 1558 erst 1748 vollendet. Der Schlichtheit des Außenbaus steht der bildkünstlerisch reich ausgestattete Innenraum gegenüber, der in seiner Einheitlichkeit, Qualität und Originalität ein hervorragendes Beispiel barocker Gestaltungskunst im protestantischen Kirchenbau des 18. Jahrhunderts in Thüringen bietet.
 
Innenansicht von der Orgel zur Kanzel Epitaph, Sandstein-Grabplatte Taufstein

 

 

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Dem Betrachter offenbart sich ein Gesamtkunstwerk, das Architektur, Malerei und Bildhauerkunst zu einem harmonischen, sinnlich stark erlebbaren Ganzen zusammenfügt. Besonders hervorzuheben sind die Decken- und Emporenmalereien, die unter einer farbigen Fassung des ausgehenden 19. Jh. verborgen waren und freigelegt worden sind. Das betrifft im Deckenbereich vor allem die Längsseiten des Muldengewölbes, sie zeigen Brustbilder von Propheten und Evangelisten, die von Vierpässen umrahmt sind. Die konservierende Wirkung des Anstriches aus dem 19. Jh. konnte den originalen Bestand bis zu ca. 80 Prozent sichern; behutsame Retuschen mussten an einigen gravierenden Fehlstellen gesetzt werden, um die ästhetische Einheit wiederherzustellen.
 
Von den ursprünglichen drei Deckenbildern (Kaseintempera auf Holz), das dritte Bild wurde im zweiten Weltkrieg zerstört, haben sich die Darstellung der Verklärung und der Auferstehung Christi erhalten. Die Verklärung Christi wurde im Barock gern gemalt, ihre Darstellung steht häufig in Verbindung mit der Auferstehung und Himmelfahrt Christi.
Taufstein
 
Die beiden erhaltenen Deckenbilder.  
 
So ist anzunehmen, dass das dritte Medaillon das Himmelfahrtsmotiv zum Inhalt hatte. Die im Sinne der italienischen Spätrenaissance aufgefasste Komposition, die jedoch in der Figurenbehandlung über eine gewisse Naivität nicht hinwegtäuschen kann, zeigt Christus auf einem Berge (Berg Tabor?), von einem überirdisch verklärtem Licht umgeben, zu seinen Füßen die Jünger Petrus, Johannes und Jakobus d. Ä., die bestürzt zu Moses und dem Propheten Elia blicken und der Stimme aus den Wolken lauschen, die sagt: "Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören" (Mt. 17,5). Die Deckenbilder wurden 1745 von Gottfried Wunderlich (1689-1749) ausgeführt. Wunderlich, der u. a. in Erfurt und Ohrdruf tätig war, begleitete ab 1737 bis zu seinem Tode das Amt eines fürstlichen Hofmalers in Arnstadt. Weitere Decken- und Emporenbilder von ihm sind für die Kirchen in Schönau v. d. Walde, Frankenhain, Geschwenda, Ruhla und Osthausen belegt, erhalten haben sich die Gemälde in Schönau und Frankenhain. Unter Wunderlichs Anleitung sind mit Sicherheit auch die Brustbilder der Propheten und Evangelisten in den Deckenwölbungen und die Malereien an den Emporen entstanden. Ihm wird dabei wohl die künstlerische Leitung übertragen worden sein, die persönliche Ausführung ist nicht belegt.
 
Deckenwölbungen über den Emporen. 
 
Die dreiseitig umlaufende Doppelempore schmücken stilisiertes Blatt -und Bänderwerk sowie Marmorierungen in den Farbtönen Weiß/Blau/Gelb. Die Malereien, die sich ebenso an den Wangen des Gestühls befinden, tragen einen lichten-heiteren Charakter. Zwei sehr qualitätsvolle Arbeiten Wunderlichs, ebenfalls um 1745 entstanden, sind das Bildnis Luthers (Öl auf Leinwand) und vor allem das in Freskotechnik ausgeführte Wandbild über dem Kanzelaltar an der Ostwand mit der Darstellung der Maria und des Johannes, das ebenfalls übermalt war. Es ist zu vermuten, dass Wunderlich diese beiden Figuren, die ikonographisch Bestandteil einer Kreuzigungsszene sind, eigens für das spätmittelalterliche Kruzifix (Mitte 16. Jh.) gemalt hat, das zu der Ausstattung des Vorgängerbaues gehört haben muss.
 
Neben dem Arnstädter Hofmaler Wunderlich ist das Wirken eines zweiten Hofmalers nachweisbar. Georg Conrad Dörffling, gothaischer Hofmaler, erhielt 1744 den Auftrag zur farbigen Gestaltung des Kanzelaltares und des Orgelprospektes. 
 
Ein prachtvolles Ausstattungsstück ist die Orgel von 1731, ein Werk des Gothaer Orgelbauers Christoph Thielemann und eines der wenig original erhaltenen aus dieser Werkstatt. Der Orgelprospekt trägt zwei Wappenschilder: den sächsischen Rautenkranz und das als Blattwerk gebildete "F", das sich auf Herzog Friedrich II bezieht. Den figürlichen Schmuck an dem reich verzierten Prospekt schuf der gothaische Bildhauer Graff, 1731.
 
Den optischen Anziehungspunkt im Chorbereich bildet der Kanzelaltar. Die Kirchen im Landkreis Gotha beherbergen eine Vielzahl dieser Altäre, die in ihrer typischen Verbindung von Altar und Kanzel eine charakteristische Schöpfung des Protestantismus darstellen. Abgesehen von den beiden plastischen Figuren des Moses und Johannes d. Täufers ist der Altar eher eine handwerklich solide als künstlerisch anspruchsvolle Arbeit. Hervorzuheben von der Ausstattung sei noch der Grabstein von 1619, der sich an der Nordwand befindet und einen Herrn "CHRISTOPHOR? LINDE" in Amtstracht unter einer Nische darstellt.
 
Den Reiz dieser Kirche bestimmt nicht zuletzt ihre beherrschende Lage im Dorf und in der Landschaft; ob von Ohrdruf oder Georgenthal kommend, erblickt man schon von weitem den Kirchturm mit seiner geschweiften Haube und hohen Laterne mit Wetterfahne. Umgeben von einem kleinen Kirchhof, den man im Westen durch ein barockes schmiedeeisernes Tor betritt, steht die Kirche in ihren klaren architektonischen Formen als ruhender Pol, als Ort der Besinnung. Möge die restaurierte Gräfenhainer Kirche von ihrer Kirchgemeinde und allen Gästen mit Freude und Stolz angenommen werden! Möge das, was ihre Vorfahren vor über 250 Jahren schufen und ihre Zeitgenossen engagiert bewahrt haben, von Bestand sein und davon zeugen, dass auch im ausgehenden 20. Jahrhundert einfühlsam mit Stein gewordener Geschichte umgegangen wurde.

In den Jahren 2009-2011 wurden weitere Sanierungen an der Kirche, diesmal überwiegend am äußeren Baukörper, durchgeführt. Dazu zählten unter anderem die Sanierung der Süd- und Ostfassade, die mit freundlicher Unterstützung der Regionalstiftung der Kreissparkasse Gotha überhaupt erst möglich wurde, ebenso wie eine Stabilisierung des Fundaments am südöstlichen Ecke des Schiffs oder die Restaurierung der Wandmalerei oberhalb der Kanzel, die infolge eindringenden Wassers notwendig wurde.


Pfarrer Reinhard Schubert und Jörg Krieglstein, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Gotha,
anlässlich der Fertigstellung der Südfassade 2009.


 

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